Dissertation. — Universitaet Hamburg, 2008. — 313 Seiten.
Vor dem Hintergrund der Fehler, die russischsprachige Lerner beim Erwerb des Deutschen
produzieren, vergleicht die vorliegende Arbeit die Strukturen des Russischen mit dem Deutschen.
Sie besteht aus zwei Teilen: einem theoretischen und einem praxisorientierten Teil –
ersterer präsentiert einen neu erarbeiteten Analyseapparat und erläutert seine Anwendung
exemplarisch an ausgewählten Bereichen der Grammatik, letzterer bietet ein Handbuch für
Lehrer, die Deutschlerner mit russischer Muttersprache unterrichten.
Der theoretische Teil geht von folgendem Stand der Forschung aus: Unbestritten ist mittlerweile, dass viele Fehler auf Strukturübertragungen von der Muttersprache auf die Zielsprache zurückzuführen sind. Dennoch müssen drei kardinale Fragen als noch nicht hinreichend geklärt angesehen werden: Erstens, warum, zweitens, wie, drittens in welchem Umfang diese Fehler zu Stande kommen. Die Fragen ergeben sich aus den unterschiedlichen
Blickwinkeln, aus denen ein und dieselbe Erscheinung betrachtet wird: Wer nach dem Warum
fragt, bezieht sich auf den geistigen Prozess bzw. Mechanismus, der hinter der Erscheinung
eines Fehler steht bzw. – nach gängiger Vorstellung – verborgen zu sein scheint,
wer nach dem Wie fragt, bezieht sich dagegen auf den unterschiedlichen Charakter der Produkte dieses Prozesses. Wie eng diese beiden Fragen miteinander verknüpft sind, soll in
dieser Arbeit gezeigt werden; in der bisherigen Forschung werden sie in der Regel getrennt
behandelt.
Die dritte Frage richtet sich auf die Häufigkeit, mit der muttersprachlich bedingte Fehler im
Verhältnis zu anderen Fehlerursachen auftreten. Untersuchungen in diese Richtung dienen
unter anderem dazu, die Bereiche einzugrenzen, in denen diese besondere Art von Fehlern
auftritt. Bisher wird angenommen, dass sie in der Phonetik und in der Grammatik in unterschiedlichem Maße wirken. In dieser Arbeit soll nun gefragt werden: Erscheint dies möglicherweise nur so? Treten muttersprachlich induzierte Fehler vielmehr nur in unterschiedlicher Weise in Erscheinung?
Es wird wie folgt vorgegangen: Das erste Kapitel widmet sich in seinem
1. Teil den bisherigen Forschungen zur Frage nach dem Warum und unterzieht ihre Ergebnisse einer kritischen Begutachtung. Es wird ein Überblick über Ansätze und Kontroversen gegeben und versucht, die Fülle an Begriffen für das in Rede stehende Phänomen zu sortieren. Aus dieser
Besprechung heraus wird eine neue These zu der Frage nach dem Warum von Strukturübertragungen aus der Muttersprache auf die Zielsprache formuliert. Der
2. Teil des
1. Abschnitts beschäftigt sich dann zunächst mit einer Abhandlung über die verschiedenen Methoden, sprachliches Material in Bezug auf „normgerechte Äußerungen und Fehler zu sortieren. Aus dieser allgemeinen Schau werden Schlussfolgerungen für die eigene Vorgehensweise gezogen, sodass erstens Kriterien für die Erhebung und Sortierung des Datenmaterials aufgestellt und zweitens Normabweichungen, also die im Material gefundenen
sprachlichen Fehler systematisiert werden können. Das Kapitel schließt mit einer kurzer
Darstellung der Probanden und bespricht die Zusammensetzung des Korpus, d.h. des Text-,
Audio- und Videomaterials. Im
3. Teil des
1. Abschnitts folgt die theoretische Aufarbeitung
bisheriger Fehleranalysen, welche sich implizit oder explizit alle mit der Frage nach dem
Wie von Strukturübertragungen aus der Muttersprache in eine Zielsprache beschäftigt haben.
Die Vor- und Nachteile dieser bisherigen Methoden werden im Hinblick auf die Erfordernisse
dieser Arbeit ermittelt. Ziel der Untersuchung ist es, eine Fehleranalyse zu erstellen,
die erstens die Betrachtung nicht auf die Wirkungen von Strukturübertragungen beschränkt,
sondern auch ihren Ursachen auf die Spur kommt und zweitens auf die sprachlichen
Repräsentationsebenen der Phonetik, Phonologie, Graphemik und Grammatik an4
wendbar ist. Die eigene Methode, Fehler auf ihre Ursachen hin zu analysieren und zu klassifizieren, gehorcht diesen beiden Prämissen und wird Schritt für Schritt nachvollziehbar
gemacht. Mit der Darstellung und Begründung der Analysekriterien einher geht die Abgrenzung
der eigenen Klassifizierung von bestehenden Klassifizierungen. In den darauf folgenden Abschnitten des theoretischen Teils wird nun diese Klassifizierung systematisch angewendet: Abschnitt 2-4 widmen sich den phonetischen Bereichen Aussprache, Lesen und Schreiben, Abschnitt 5 – exemplarisch für Morphologie und Syntax – dem Aspekt und Tempus. Der Analyse des jeweiligen Bereichs sprachlicher Repräsentation ist ein theoretischer Abschnitt vorangestellt, in dem die zu behandelnden Strukturen beider Sprachen sowohl hinsichtlich ihrer universalsprachlichen als auch hinsichtlich ihrer einzelsprachlichen Charakteristika abgehandelt werden. Nach der Fehleranalyse wird in jedem Abschnitt eine Zwischenbilanz erstellt, um die Besonderheiten des jeweiligen sprachlichen Bereichs im Hinblick auf Strukturübertragungen aus der Muttersprache in die Zielsprache herauszustellen. Eine Gesamtschau der Einzelergebnisse, die Prüfung ihrer Unterschiede und Gemeinsamkeiten, eine Beurteilung der Klassifizierung sowie Fazit und Ausblick beenden in Abschnitt 6 den theoretischen Teil der Arbeit.
Den zweiten Teil der Dissertation bildet ein Handbuch, das 2008 im Waxmann Verlag unter
dem Titel „Die häufigsten Fehler russischer Deutschlerner. Ein Handbuch für Lehrende
erschien. Es richtet sich ebenso an Lehrer in der Erwachsenenbildung wie an Lehrer, die
Schulkinder mit russischer Herkunftssprache unterrichten. Darüber hinaus kann es russischsprachigen Deutschlernern mit guten Kenntnissen der Grundsprache zum Selbststudium
dienen. Das Buch entstand auf Anregung von Professor Dr. Jochen Rehbein aus dem Begleitmaterial zum Strukturkurs Russisch, den ich seit 1998 an der Universität Hamburg leite.
Das Seminar findet im Rahmen der „Zusatzausbildung von Lehrern für Schüler verschiedener
Muttersprachen statt. Dieses Extra-Studium dient dem Ziel, Lehrer zu unterstützen,
die mit vielsprachigen und multikulturellen Lerngruppen konfrontiert sind.
In dem Handbuch werden die Strukturen der russischen und deutschen Sprache in allen
Bereichen der Sprache, mit Ausnahme der Lexik, knapp vor- und einander gegenübergestellt.
Die Komparation bildet die Basis für die Darstellung der Fehler, die Russischsprachige
beim Erwerb des Deutschen produzieren. Dabei werden nicht nur die Fehler exemplarisch
aufgeführt, die auf Strukturübertragen aus der Muttersprache auf die Zielsprache beruhen.
Zum Zwecke der Abgrenzung werden auch diejenigen Fehler dargestellt, die rein
den Besonderheiten der zu erlernenden Sprache geschuldet sind. Für den Lehrer werden
damit die Fehler, die bei russischsprachigen Deutschlernern eine gesonderte Behandlung
sinnvoll erscheinen lassen, besser unterscheidbar von denjenigen Fehlern, die sprachenübergreifend Schwierigkeiten bereiten.