Deutschlands anhaltend hohe Leistungsbilanzüberschüsse sorgen in Europa und in Amerika für Verdruss. Bislang ist es der Bundesregierung weder gelungen, erfolgreich Maßnahmen zum Abbau der Überschüsse einzuleiten, noch konnte sie überzeugend erklären, warum diese unproblematisch sein sollen. Durch die seit dem Jahr 2000 erwirtschafteten stetig hohen Leistungsbilanzüberschüsse gefährdet Deutschland nicht nur die Zukunft des europäischen Integrationsprozesses, sondern auch die der liberalen Handelsordnung.
Politik und Gesellschaft in Deutschland mangelt es an der Einsicht, dass die eigenen Kapitalexporte für andere Länder problematisch sein können. Die markige Rhetorik des amerikanischen Präsidenten Trump mag im Ton unangemessen sein, hat aber einen wahren Kern: Deutschland ignoriert die Folgen seiner Außenwirtschaftspolitik für andere Volkswirtschaften und fördert damit protektionistische Reflexe.
Aus volkswirtschaftlicher Perspektive hat Deutschland aber allen Grund, das eigene außenwirtschaftliche Modell zu überdenken. Die Lieferungen ans Ausland wurden – volkswirtschaftlich gesehen – häufig verschenkt. Exportiertes Kapital musste – etwa im Falle von Investitionen in US-Immobilienkredite – abgeschrieben werden. Eine solche Außenwirtschaftspolitik begünstigt zwar die unmittelbar von Exporten profitierenden Akteure, etwa Aktionäre und Beschäftigte deutscher Automobilkonzerne. Zahlreichen Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern dagegen bürdet sie schwere finanzielle Lasten auf.
Nach Jahren der fruchtlosen Diskussion über mögliche Maßnahmen zur Dämpfung der deutschen Leistungsbilanzüberschüsse könnten nun auch radikalere Schritte erwogen werden, beispielsweise eine zeitweilige drastische Senkung der Mehrwertsteuer oder die temporäre Besteuerung von Kapitalexporten.
Author(s): Heribert Dieter
Series: SWP Studie; 2018/13
Publisher: Stiftung Wissenschaft und Politik
Year: 2018
Language: German
Pages: 38
City: Berlin
Inhalt
Problemstellung und Empfehlungen
Deutschlands zweischneidige Außenwirtschaftspolitik.Gründe und Optionen für den Abbau der Leistungsbilanzüberschüsse
Warum sind Leistungsbilanzüberschüsse ein Thema der internationalen Politik?
Leistungsbilanzüberschüsse führen häufig zu Finanzkrisen
Die Interpretation der Leistungsbilanz
Deutschlands Leistungsbilanz seit 2004
Zuerst der Warenhandel, dann der Kapitalimport.
Einschätzungen im Ausland und in Deutschland
Perspektiven ausländischer Beobachter
Vorsprung durch Angst.
Positionen deutscher Beobachter und der Bundesregierung
Entweder ignoriert die Politik die Fehlentscheidungen privater Akteure beim Kapitalexport oder sie beschäftigt sich damit.
Negative Folgen der Leistungsbilanzüberschüsse für die deutsche Volkswirtschaft
Kapital wurde unklug investiert und im Ergebnis verschenkt.
Sind Leistungsbilanzüberschüsse ein Zeichen mangelnden Vertrauens in den Standort Deutschland?
Arbeitskosten pro Stunde in ausgewählten Industrieländern (2015)*
Schwache Position Deutschlands beim Vergleich der Vermögen
Wohlstand und Leistungsbilanz 2000–2016
Bisherige Verluste infolge des Kapitalexports
Überschussländer müssen häufig Teilverluste ihrer Ersparnisse hinnehmen.
Werden Exporte aus Deutschland verschenkt?
»Dummes deutsches Geld« oder Verarmung durch Exporte
Im internationalen Vergleich schneidet Deutschland bei der Entwicklung seiner Forderungen ans Ausland besonders schlecht ab.
Optionen für die Wirtschafts- und Finanzpolitik zum Abbau der Überschüsse
Erhöhung der Binnennachfrage durch Reallohnsteigerungen
Zeitweilige Senkung der Mehrwertsteuer
Die Senkung der Mehrwertsteuer wäre ein deutliches Signal an die Partnerländer Deutschlands.
Reduzierung der privaten Ersparnis durch Aufhebung der Altersgrenze
Sparquoten privater Haushalte einschließlich privater Organisationen ohne Erwerbszweck (2015)
Erhöhung der Steuern auf Unternehmensgewinne
Vorübergehende Besteuerung des Kapitalverkehrs
Eine Kapitalexportsteuer wäre eine radikale, bislang in Europa nicht angewendete Maßnahme.
Steigerung der privaten Investitionen in den Wohnungsbau
Eigentumsquoten im Vergleich* (2016)
Schlussbemerkungen
Abkürzungsverzeichnis