Das Roman-Oeuvre des Colmarer Literaten, Meistersängers und Malers Jörg Wickram fällt in einen Zeitraum, in dem die Holzschnittillustrationen im gedruckten Roman oftmals nur rudimentär auf den Sprachtext bezogen werden können, da Druckstöcke aus Kostengründen vielfach verwendet, aus mehreren Bestandteilen zusammengestückelt oder gar solche aus älteren Werken herangezogen werden. Im Zusammenhang dieses exzessiven Bildrecyclings werden die Romanillustrationen des mittleren 16. Jahrhunderts vielfach ihrer ehemaligen narrativen Funktionen verlustig. Jörg Wickram hingegen stattet seine in der Straßburger Druckerei Jakob Frölichs erschienenen Romane - 'Ritter Galmy' (1539), 'Gabriotto und Reinhart' (1551), 'Knabenspiegel' (1554) und 'Goldfaden' (1557) - entgegen der damals gängigen Praxis überwiegend mit eigenen Bildern aus. Er schafft eine neuartige Verbindung aus frühneuzeitlichem Roman und Druckgrafik, welche die Illustration als narratives Gestaltungsmittel wiederentdeckt. Experimentierfreudig macht Wickram die im Zuge des Funktionsverlustes entstandenen Gestaltungsfreiräume nutzbar.
Um die den Werken zugrundeliegende narrative, para- und transtextuelle Struktur zu erfassen, werden zentrale Theoreme Gérard Genettes modifiziert und um die ikonische Erzähldimension der Medienkombination erweitert. Auf der Basis der narratologischen Analyse treten intermediale Strukturelemente zutage, die die Rezeption der Werke auf vielfältige Weise mitgestalten. Das Spektrum der Bildwirkungen reicht dabei von Emotionsevokation, Spannungsaufbau und Aufmerksamkeitsfokussierung über die Erzeugung von Ironie, Sinnbildern und Didaxen bis hin zur Motivation und Koordination der diegetischen Handlung. Als besonders bemerkenswert stellt sich Wickrams poetologische Instrumentalisierung der zeittypischen Praktiken der Mehrfachverwendung von Bildmaterial heraus.
Author(s): Raphael Kuch
Series: Literatur - Theorie - Geschichte. Beiträge zu einer kulturwissenschaftlichen Mediävistik, 8
Publisher: Akademie Verlag
Year: 2014
Language: German
Pages: 296
City: Berlin
Vorwort
Einleitung
Die Bilder der frühneuzeitlichen Erzählliteratur
Erzählen in kombinierten Medien
Ziele und methodisches Vorgehen
1. Die intermediale Erzählstruktur im illustrierten frühneuzeitlichen Roman: Entwicklung eines Modells auf Grundlage der Erzähltheorie Gérard Genettes
1.1. Innere, äußere und transtextuelle Strukturebene
1.2. Ordnung
1.3. Dauer
1.4. Frequenz
1.5. Modus
1.6. Stimme
2. Vier Romane Jörg Wickrams
2.1. "Liebliche" und "klaegliche" Geschichten. Zum diegetischen Geschehen
2.2. "Gedruckt zuo Straßburg bey Jacob Froelich". Zu den Erstausgaben
3. Struktur und Wirkung intermedialen Erzählens bei Wickram
3.1. "Damit der leser jr gestalt vor jm gespieglet sihet". Zu den inneren Elementen intermedialen Erzählens
3.2. "Liß mich". Zu den äußeren Elementen intermedialen Erzählens
3.3. "Woellest bedencken die alten Historyen". Zu den transtextuellen Elementen intermedialen Erzählens
Schluss
Perspektiven intermedialen Erzählens bei Jörg Wickram
Anhang
Abbildungsnachweise