Bisher liegen kaum Studien vor, welche die Geschichte einer einzelnen Stadt des ostslawischen Siedlungsgebietes über einen längeren Zeitraum untersuchen. Das Beispiel von Polock zeigt, wie sich ein bedeutender Fürstensitz der Rus’ im Kontakt mit Ostmitteleuropa vom 13. Jahrhundert an tief greifend verändert.
Im Rahmen Polen-Litauens folgten auf die von Orthodoxen getragene Kommunegenese im Spätmittelalter konfliktreiche Konfessionsbildungsprozesse und die Entstehung orthodoxer sowie unierter Zünfte und Laienbruderschaften im 17. Jahrhundert. Die rechtliche Uneinheitlichkeit der Stadt ließ sie zur Zufluchtsstätte einer wachsenden jüdischen Gemeinde werden. Nach der Eingliederung ins Zarenreich 1772 wurden die Juden in die städtische Selbstverwaltung eingebunden, jedoch 1892 wieder aus ihr ausgeschlossen. Diese Exklusion konnte im Handlungsfeld des Vereinswesens der nun mehrheitlich jüdischen Stadt nur teilweise kompensiert werden. Anders als im 17. Jahrhundert scheiterte interkonfessionelles Krisenmanagement in der Vielvölkerstadt mit den aufkeimenden Nationalismen zu Beginn des 20. Jahrhunderts zusehends.
Mit überregionalen Vergleichen wird osteuropäische und ostmitteleuropäische Stadtgeschichte exemplifiziert.
Author(s): Stefan Rohdewald
Series: Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa ;
Publisher: F. Steiner,
Year: 2005.
Language: German
Pages: 588 p. :
City: Stuttgart :
Tags: http://library.oapen.org/handle/20.500.12657/23675
Vorwort
A. Einleitung
I. Einordnung in Zeit und Raum
II. Grundfragen
III. Methodisches und Einschränkungen
IV. Forschungsstand
V. Quellen
B. Die Stadt als Fürstensitz – Waräger, Rus’, Litauer
I. Stadtgenese und soziale Gruppen
1. Stadträumliche Entwicklung
2 Gefolgschaft, „einfache Leute“ und Geistlichkeit – Soziale Gruppen
2.1 „denn Volodimer liebte seine Gefolgschaft“
2.2 „Mercatores“ und „einfache Leute“
2.2 Bischof, Klerus und Geistlichkeit
3. Von der Ost- zur Westorientierung des Handels
II. „wir werden deine Leute sein, und du sei Fürst“ Macht zwischen Fürst und Städtern
1. „und er setzte sich auf den Thron seines Großvaters und seines Vaters mit großer Ehre“ Grundlagen von Herrschaft und Gericht in der Stadt
2. „die Polotschanen (...) versammeln sich wie zur Beratung zum vece“Interaktion von Städtern, Fürsten und Lateinern
2.1 „und sie vertrieben ihn“ Interaktion von Fürsten und Städtern im 12. Jh.
2.2 Zwischenbilanz – Volksversammlungen im 12. Jh.
2.3 Recht und Gericht in der Interaktion mit Lateinern
2.3.1 Frühe Rechtsfrieden
2.3.2 Handelsrecht und Gericht in der Burgstadt um 1250
2.3.3 Verträge nach 1260
2.4 Kommunikation von Fürst und Städtern im 13. und 14. Jh.
III. Zwischenbilanz
C. Wandel im Polen-Litauen der Jagiellonen
I. Siedlungsgeschichte, Demographie und Wirtschaft
II. Macht zwischen Statthaltern und Städtern bis um 1490
1. Vom Fürsten zum Statthalter und zum Wojewoden
2. Ständische Rechte und soziale Gruppen (1400–1470)
2.1 Bojaren
2.2 Bürger
2.3 Gemeinheit
3. „dass sich alle gemeinsam an jener Stelle versammeln, wo sie sich seit langer Zeit versammeln“ Versammlungen
3.1 Grundlagen im nordosteuropäischen Kontext
3.1.1 „alle Polocker“ Zur Teilnahme an Versammlungen
3.1.2 „Älteste“ und „upperste“ – Zur Führung von Versammlungen
3.2 Polotschane, Statthalter und Rigaer – Das Aushandeln des Vertrages von 1406
3.3 Versammlungen und Gericht des Statthalters bis 1460
3.3.1 „gemäß dem Frieden“ Klagen gegen Vertragsbrüche
3.3.2 „pro administranda iusticia“ Bitten um Recht
3.3.3 „wir haben geurteilt“ Gericht, Strafbegehren und Auslieferung
3.3.4 Zwischenbilanz
3.4 Frühe Versammlungen ohne Statthalter (1399–1408, 1441–1448)
3.5 „von der ganzen Polocker Stadt“ Bürgerversammlungen (1445–1465)
3.6 Versammlungen ohne (und mit) Statthalter nach 1459
3.6.1 „denn das ist unser Wort“ Gesandte und Schreiber
3.6.2 „gemäß dem Frieden“ Klagen gegen Vertragsbrüche
3.6.3 „pro administranda iusticia“ Bitten um Recht
3.6.4 „wir haben ihn verurteilt“ ‘Urteile’mit und ohne Statthalter
3.6.5 Weitere Themenbereiche
3.6.6 Zwischenbilanz
3.7 Immunitäten, Schwurverband und „Schwarze“ um 1486
3.8 „dass die Bojaren und die Bürger und die ganze Gemeinheit einig unter sich seien“ Scheiternde Institutionalisierung 1486
3.9 Bilanz – Anfänge einer Kommmunegenese im nordosteuropäischen Kontext
III. „zur Mehrung des Gemeinwohls“ Nach der Verleihung des Magdeburger Rechts 1498
1. Immunitäten und soziale Gruppen nach 1498
1.1 Das Gericht des Wojewoden – Grenzen der „Stadt“ gegenüber dem „Schloss“ und dem „Land“
1.2 Adel, adliger und geistlicher Besitz in der „Stadt“
1.3 Adlige und geistliche Gerichtsbarkeit in der „Stadt“
1.4 Grundbesitzende Bürger nach 1498
1.5 Von Bürgern und „Leuten“ zur Bürgergemeinde nach 1498
1.6 Sozialtopographie der Zinsbürger
1.7 Handwerkerkorporationen und Juden
2. Macht zwischen Rechtsstadt und adliger Landesherrschaft
2.1 Vogt & Lehnsvogt zwischen Stadtrat & Landesverwaltung
2.2 Bürgerversammlungen und Ratssitzungen
2.2.1 „Wir, die Bürgermeister und Räte“ Neue Institutionen
2.2.3 Kompetenzen und Themen
2.3 Bürger vor dem Landesgericht
IV. Zwischenbilanz
D. Polock in der Adelsrepublik
I. Bevölkerungszahlen und Wirtschaft
1. „gleich der Erden hinweg gebrandt“ Demographie
2 Handel und Gewerbe
II. „c’est le mélange des hommes et des langues comme à la bâtisse de la tour de Babilone“ Rechtliche Grossgruppen in der Vielvölkerstadt
1. „denn alle nennen sie sich Polocker“ Recht und Stadtraum
1.1 „Ansässigkeit“ und ewige Erbleihe – Neue rechtliche Kategorien
1.2 „Juridiky“ Festere und weichere Immunitäten
1.3 Aussage gegen Aussage – Immunitätsdiskurs
1.4 Adliger und geistlicher Besitz im Jahr 1765 in Zahlen
2. Ständische Gruppen in der christlichen Gemeinde
2.1 „lose Leute“, „gemeine Leute“– Einwohner und Bürger
2.2 „ehrbare“ und „gerühmte Herren“ – Honoratioren
3. „Bürger der Polocker Stadt“ Juden zwischen Schloss, Synagoge und Rathaus
3.1 Rechtlicher Status
3.2 Sozialtopographie
4. Fazit
III. Kleine formelle Gruppen: Klöster, Bruderschaften, Zünfte und konfessionelle Konflikte
1. „catholicum (...) cultum propagare et plantare“Gegenreformation und Union
1.1 Kommunales Leben in Klöstern
1.2 Katholische und unierte Bruderschaften
1.3 Zünfte als Räume kollektiven Handelns
1.4 Prozessionen – Inszenierungen des sakralen Raumes
2. Die Formierung orthodoxer Gruppen im zwischenkonfessionellen Konflikt
2.1 Erste Konflikte zwischen Orthodoxen und Lateinern im Kalenderstreit
2.2 Union oder Orthodoxie? Neue Konflikte und Konturen (1618–1621)
2.3 Von ersten Netzwerken der Orthodoxen zur Bruderschaft (1621–1633)
2.4 Der orthodoxe Jugendliebesbund (1651)
2.5 Zwischenkonfessionelle Öffentlichkeit im Ringen um sakralen Raum (1633–1682)
3. Jüdische Bruderschaften
4. „Schäden und Excesse“ Jüdischer und christlicher sakraler Raum in Polock
5. Zwischenbilanz im „Wettstreit“ der Konfessionen
IV. „die Republik unserer Stadt“ Kommunale Interaktion
1. Teilautonomie? Die Lehnsvogtei zwischen Schloss und Rathaus
2. Magistrat und Gemeinde
2.1 Bürgermeister- und Ratswahlen
2.2 Der Rat als Gericht
2.3 Einträchtiges Handeln von Rat und Gemeinde bis 1640
2.4 Proteste und erste Deputierte bis 1652
2.5 „Gemeindeherren“unter der Moskauer Herrschaft (1654–1667)
2.6 Deputierte und Finanzberatungen bis 1676
2.7 „Gemeindeleute aller drei Sessionen“ bis 1704
2.8 Konfessioneller Ausgleich in der Not – Ratswahlen 1725
3. Gemeindebehörden der Juden
V. Schluss – Juridikien, Konfessionen und Korporationen
E. Polock im Russländischen Imperium
I. „Štetl“oder Boomtown? Wirtschaftliche und soziale Grunddaten
1. Demographisches und wirtschaftliches Wachstum
2. Konfession, Stand, Arbeit
3. Konfessionelle Bildungsinstitute
4. Sozialräumliche Grundlagen
II. Von Integration zu Exklusion – Kommunale Stadtpolitik
1. Integration und Partizipation – Die Selbstverwaltung bis 1867
1.1 Wahlen als Rahmen kollektiven Handelns
1.1.1 Wahlen in den Jahren 1800 und 1839
1.1.2 Wahlen 1847, 1859 und 1865
1.1.3 Wahlbeteiligung
1.2 Weitere Ebenen des kommunalen Zusammenlebens
1.3 Kommunales Handeln in der lokalen Geschichtsschreibung
1.4 Zwischenbilanz
2. Beschränkte Partizipation – Die Städteordnung von 1870 (1879–1892)
3. „zur Entfernung der Juden“ Die Selbstverwaltung von 1892 bis 1915
3.1 Wahlen 1894–1895
3.2 Scheiternde Wahlen 1910–1915
3.3 „‘Väter’ der Stadt“ und „Interessen der Stadt“ – Kommunalpolitik?
3.4 Partizipation von Juden auf unterer Ebene und religiöse Handlungsspielräume
4. Zwischenbilanz
III. Assoziationen und ihre Binnenöffentlichkeit
1. Vereine, Gründer und ihre Ziele
1.1 Adelsklubs
1.2 Von jüdischen Bruderschaften zu Gesellschaften
1.3 „Russifizierung“ als Ziel einer „Bewegung“ – Von der Theophanie- zur Nikolaj-und-Evfrosinija-Bruderschaft
1.4 Wirtschaftliche Vereinigungen
1.5 Wohltätigkeitsvereine
1.6 Große ethnokonfessionell übergreifende Vereine
1.7 Kleinere Vereine mit speziellen Zielsetzungen
1.8 Jüdische politische Assoziationen und Gewerkschaften
1.9 Formelle christliche politische Gruppierungen
2. Das Netzwerk der Mitglieder
3. Vereinsöffentlichkeit
4. Fazit
IV. Öffentlichkeit zwischen Evolution und Revolution
1. Vereinswesen und Stadtpolitik
2. Öffentlichkeit im physischen Stadtraum
2.1 Der Hauptplatz als Ort der Macht
2.2 Demonstrationen und die Pogrome von 1905
2.3 Die Rückführung der Evfrosinija 1910
3. Öffentlichkeit im Staat – Wahlen in die Staatsduma
V. Polock um 1900 – Eine typische russländische Kreisstadt?
F. Zwischen Gleichzeitigkeit und longue durée – Kollektives Handeln sozialer Gruppen in einer Stadt zwischen Ost- und Mitteleuropa
G. Quellen- und Literaturverzeichnis
I. Abkürzungen (vgl. auch G.II, G.IV–V)
II. Bibliographien, Enzyklopädien, Lexika
III. Ungedruckte Quellen
IV. Edierte Texte und Selbstzeugnisse
V. Edierte Akten
VI. Broschüren ohne Autor
VII. Zeitungen, nichtwissenschaftliche Periodika und Statistiken
VIII. Darstellungen
H. Anhang
I. Plan der Stadtbefestigungen bis zur Mitte des 16. Jh.
II. Stadtplan um 1778
III. Das Stadtzentrum um 1918