Pietismus, Medizin und Aufklärung in Preussen im 18. Jahrhundert: das Leben und Werk Georg Ernst Stahls

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Georg Ernst Stahl (1659-1734) war weltbekannt als Vertreter einer holistischen Medizin, späterhin als die "natürliche Methode" von Schülern verbreitet und popularisiert. Er war u.a. ein Gegner invasiver Behandlungsmethoden, insbesondere der Verschreibung vieler Medikamente. 1694 wurde er an die neugegründete Universität Halle berufen, als diese zum Versammlungsort reformwilliger junger Professoren wurde. Christian Thomasius und Johann Buddeus waren seine frühen Mitstreiter. Die Verfechter geistiger und erziehungsorientierter Erneuerung waren aber auch in den Erweckungsbewegungen zu finden. So trugen Stahls Auffassungen einer "wahren Medizin" wesentlich dazu bei, den Pietismus zu stärken, auf praktischer Ebene als Anweisung zur Gesundheit und im Krankheitsfall als Behandlungsmethode. Aber auch in psychologischer Hinsicht war Stahls Theorie von großer Bedeutung. Er war überzeugt, der Mensch sei angewiesen auf synergetische Prozesse, die im Körper, in der Seele, oder im Umbruch zwischen beiden, in den Sinneswahrnehmungen oder Gefühlen ihren Ausgang nahmen. Dies erlaubte es, seelische und natürliche Intelligenz als Einheit zu sehen und machte es mehr als plausibel, daß Empfindung und Einbildungskraft gleichrangig mit der Vernunft anzuerkennen seien. Stahls ansehnliches Wirken auf medizinische, psychologische und ästhetische Überlegungen zur Anthropologie ist nachweisbar. Die Schriften des pietistischen Arztes Christian Friedrich Richter und des Radikalseparatisten Johann Samuel Carl, ebenfalls Arzt und Schüler Stahls, verbreiteten diese "Psychomedizin" weit über akademische Kreise hinaus. Stahl stellte somit sowohl die ideologisch motivierte Identifizierung menschlicher Selbstbestimmung mit Vernunft wie auch eine reduktive "mechanistische" Physiologie (z.B. Hallers Irritationslehre) in Frage. Das Buch beschreibt das Leben Stahls und setzt seine Medizin in den Kontext der politischen, geistigen und sozialen Auseinandersetzungen seiner Zeit. Seine Auffassung, der Arzt sei Diener der Natur, nicht ihr Beherrscher, hat noch heute Relevanz.

Author(s): Johanna Geyer-Kordesch
Series: Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung, 13
Publisher: de Gruyter
Year: 2000

Language: German
Pages: 283
City: Berlin
Tags: History; Topics in History; Constitutional and Legal History; Theology and Religion; Early Modern Times; Early Modern History

I. Einleitung
II. Zur Biographie und zu den Schriften Stahls
1. Zur Biographie
2. Prolegomenon zu einer Bibliographie Stahls
3. Zur Problematik der Rezeption Stahls: „Homo acris et metaphysicus“
III. „Die Wahrheit ist einfach“: die pietistische Erweckungsbewegung und die Erneuerung der Medizin
1. Der radikale Reformansatz im frühen Pietismus
2. Der Pharos der Halleschen Universität
3. Die Erneuerung der Medizin durch Georg Ernst Stahl
4. Reform, Muttersprache und Laienwissen in der Medizin
IV. Die medizinische Theorie Stahls
1. Wahrheit und Reform: Vindiciae theoriae medicae verae
2. Mechanismus und Organismus: die Seele
3. Die Puppenkomödie der Mechaniker und die lebendige Natur
4. Negotium Otiosum: Stahl contra Leibniz
V. „Die Vernunft ist verderbt“: Medizin und Metaphysik in der Aufklärung
1. Die mechanische Medizin
2. Christian Wolff und die Hierarchie der Vernunft
3. Zurück zur Sinnlichkeit: die „lebendige Erkenntnis“
VI. Zusammenfassung
VII. Literaturverzeichnis
1. Archive
2. Die medizinischen Schriften Georg Ernst Stahls (Auswahl)
A. Lateinische Schriften
B. Deutsche Übersetzungen
C. Französische Übersetzung
3. Scripta Stahliana 1729
4. Weitere benutzte Literatur
VIII. Personenregister