Von September 1988 bis August 1989 wurde auf einer Hügelterrasse nördlich des Dorfzentrums am Bergweg in Kallnach, anlässlich des Baus eines Hauses, eine archäologische Ausgrabung durchgeführt. Im Baumgarten eines Bauernhauses kamen mehrere römische Mauern und ein frühmittelalterliches Gräberfeld zum Vorschein. Hauptsächlich von den Funden (gestempelte Legionsziegel der legio I Martia) und von der Lage des Gebäudes her, kann das am Bergweg wiederentdeckte Gebäude als 'mansio', 'statio' oder 'mutatio', das heisst als eine Raststätte privaten oder öffentlichen Charakters, interpretiert werden. Die dort geborgene Keramik zeigt, dass das Gebäude vom 3. bis ins 4. Jahrhundert vielleicht sogar bis ins 5. Jahrhundert benutzt worden ist.
Das frühmittelalterliche Gräberfeld weist 155 Körpergräber oder Ossuarien auf. Zudem weisen die Reste einer kleinen Mauer, welche die römischen Strukturen schneidet und die gleiche Orientierung aufweist wie einige Bestattungen, auf einen frühmittelalterlichen Grabbau ('memoria') hin. Für die Grabstrukturen der frühmittelalterlichen Gräber wurden Baumaterialien des damals in Ruinen stehenden oder bereits stark abgebauten römischen Gebäudes verwendet. Insgesamt 46 Bestattungen wiesen Beigaben auf. Dabei bilden Gürtelschnallen oder Gürtelgarnituren die häufigste Grabbeigabe bei beiden Geschlechtern. Die Schnallen wurden aus Metall (Eisen mit Silbertauschierung, Bronze oder Silber) oder aus Bein gefertigt. Bei den Frauen gehören zudem eine Goldscheibenfibel, Perlenketten, Ohr- und Fingerringe oder Messer zu den beigegebenen Gegenständen. Bei den Männern sieht man dafür Saxe, ebenfalls Messer oder Werkzeuge beiliegend. Die Belegung des Gräberfeldes liegt anhand der C14-Daten zwischen dem 6. und dem 11. Jahrhundert. Sie wird durch eine typologische Analyse der Beigaben bestätigt. Sowohl die Anlage des Gräberfeldes als auch die Anordnung der Skelette und die beigelegten Gegenstände weisen die hier Bestatteten als Romanen aus.
Author(s): Christiane Kissling, Susi Ulrich-Bochsler
Series: Schriftenreihe der Erziehungsdirektion des Kantons Bern
Publisher: Archäologischer Dienst des Kantons Bern
Year: 2006
Language: German
Pages: 194
City: Bern
Vorwort 7
Danksagungen 9
Teil A: Die archäologischen Forschungen
1. Einleitung 12
1.1 Lage 12
1.2 Grabungsanlass 13
1.3 Die Befunde im Überblick 15
2. Forschungsgeschichte 16
2.1 Ältere Untersuchungen 16
2.2 Ablauf und Methode der Grabung 1988/89 16
3. Historischer Rahmen 19
4. Das spätrömische Gebäude 22
4.1 Der Grundriss 22
4.1.1 Die Mauern 22
4.1.2 Die Räume 23
4.2 Deutung und Datierung der Befunde 25
5. Das frühmittelalterliche Gräberfeld 27
5.1 Lage und Ausdehnung 27
5.2 Die Grabkammer oder 'memoria' 29
5.3 Erhaltungszustand der Grabstrukturen 30
5.4 Grabtypen 31
5.4.1 Die Körpergräber 31
6. Die Grabinventare des frühmittelalterlichen Gräberfeldes 55
6.1 Methodik 55
6.2 Die Funde 56
6.2.1 Gürtel- und Schuhschnallen 56
6.2.2 Goldscheibenfibel 67
6.2.3 Perlenketten 69
6.2.4 Ohrringe 72
6.2.5 Fingerringe 72
6.2.6 Knochenkamm 73
6.2.7 Zierscheibenfragment 74
6.2.8 Spinnwirtel aus Bein 74
6.2.9 Glastummler 74
6.2.10 Messer 75
6.2.11 Saxe 75
6.2.12 Pfeilspitzen 77
6.2.13 Übrige Geräte, Werkzeuge und Amulette 77
6.2.14 Textilien 77
6.3 Geflickte Gegenstände 82
7. Bestattungssitten und Datierung 83
7.1 Bestattungssittenvergleich 83
7.1.1 Frauengräber 83
7.1.2 Männergräber 83
7.1.3 Kindergräber 85
7.2 Bestattungssitten westlich der Aare 85
7.3 Die Bevölkerung von Kallnach 86
7.4 Datierung des Gräberfeldes 86
8. Das Urnengrab von Kallnach 89
Teil B: Fundkatalog Grabinventare
Fundkatalog Grabinventare 92
Teil C: Anthropologische Rekonstruktion einer frühmittelalterlichen Bevölkerung aus dem Berner Seeland
1. Einleitung und Fragestellung 114
2. Material, Erhaltung und Zeitstellung 115
3. Methoden 118
4. Zur Bevölkerungsstruktur von Kallnach 120
4.1 Geschlechteraufbau 120
4.2 Altersaufbau der Kinder 121
4.3 Altersaufbau der Erwachsenen 123
4.4 Zusammenfassung 125
5. Das körperliche Erscheinungsbild der Bevölkerung von Kallnach 126
5.1 Morphologie der Schädel 126
5.2 Morphologie des postcranialen Skeletts 137
5.3 Epigenetische Merkmale 141
5.4 Weiteres zu möglichen 'Verwandtschaften' im Gräberfeld 143
5.5 Zusammenfassung 148
6. Krankheiten und Verletzungen der Kallnacher Bevölkerung 149
6.1 Degenerative Erkrankungen 149
6.2 Verletzungen und Frakturen 154
6.3 Entzündliche und geschwulstartige Veränderungen 159
6.4 Mangelerscheinungen 162
6.5 Anomalien, Fehlbildungen 165
6.6 Zahnbefunde 167
6.7 Zur Entwicklung der Kinder 173
6.8 Zusammenfassung 174
7. Zusammenfassung 175
Bibliographie 178
Zusammenfassung, Résumé, Summary 188
Abbildungsnachweis 194