Critica: Untersuchungen zur Geschichte der Literaturkritik zwischen Quintilian und Thomasius

Der Entschluß zur Untersuchung der frühen Geschichte der Literaturkritik liegt beinahe zwanzig Jahre zurück. Er wurde Ende der siebziger Jahre in Tübingen gefaßt, angeregt durch Wilfried Barner. Ich verfolgte zunächst die Absicht, einen Beitrag zur quellenmäßigen Rekonstruktion der Literaturkritik der deutschen Frühaufklärung zu leisten, sozusagen die Aufhellung des Hintergrundes für die kritische Praxis Lessings. Auch dieser mußte ja bestimmten Traditionen gefolgt sein, andere vielleicht verlassen und negiert haben, so virtuos und originell seine kritischen Schriften auch wirken mochten. Aber zur Beantwortung konkreter Fragen hatte die Kritikforschung kaum das Nötigste anzubieten. Ich fürchte, die vorliegende Studie wird eben diese Antworten nun wieder nicht ausführlich oder gar erschöpfend geben können; denn ihre Absichten und Fragen sowie ihr Hauptgegenstand haben sich gegenüber der ersten Arbeitsphase entschieden verändert, der Focus der Untersuchung hat sich verschoben. Nach vielen Jahren des Quellenstudiums habe ich den Versuch gewagt, eine Art Archäologie der Literaturkritik in Angriff zu nehmen, die die alteuropäischen, 'klassizistischen' Grundlagen und die Neuerungen in den maßgeblichen europäischen Nationalliteraturen der frühen Neuzeit gleichermaßen umfaßt.