∎ Die amerikanisch-russische Rüstungskontrollarchitektur durchlebt eine schwere Krise. Allerdings hat die Erosion rüstungskontrollpolitischer Instrumente schon vor dem Ende des INF-Vertrags am 2. August 2019 eingesetzt.
∎ New START, das letzte russisch-amerikanische Vertragswerk zur Redu-zierung strategischer Kernwaffen, droht am 5. Februar 2021 auszulaufen, wenn sich die Vertragspartner bis dahin nicht auf eine Verlängerung einigen. Fiele New START weg, stände einer neuen Welle nuklearer Auf-rüstung rechtlich nichts mehr im Wege.
∎ Die russische Führung ist bestrebt, den New-START-Vertrag zu verlängern. Damit will sie eine strategische Balance zwischen den USA und Russland aufrechterhalten. Vor allem geht es ihr darum, den Fortbestand der russi-schen Zweitschlagkapazität zu sichern. Zugleich dienen Rüstungskontroll-gespräche als implizite Anerkennung eines russischen »Großmachtstatus«.
∎ Die russische Selbstdarstellung als Bewahrer bestehender Rüstungs-kontrollverträge wird durch neue nichtstrategische Waffensysteme ver-kompliziert. Mit ihnen will Russland demonstrieren, dass es nach wie vor eine mögliche erweiterte US-Raketenabwehr überwinden kann.
∎ Die Entfremdung zwischen Russland und westlichen Staaten hat sich seit 2014 beschleunigt und beeinträchtigt auch die Rüstungskontrolle. Eine Folge sind Ansätze rüstungstechnologischer Kooperation Russlands mit China.
∎ Deutschland sollte sich weiterhin für die Verlängerung von New START und die Wiederaufnahme strategischer Gespräche mit Russland enga-gieren. Sie sind Voraussetzung für ein Folgeabkommen, das den Begriff »strategische Stabilität« erweitern und dabei sowohl nukleare Drittstaaten als auch neue technologische Möglichkeiten einbeziehen müsste.
Author(s): Moritz Pieper
Series: SWP Studie; 2020/12
Publisher: Stiftung Wissenschaft und Politik
Year: 2020
Language: German
Pages: 36
City: Berlin
Problemstellung und Empfehlungen
Russland und die Krise der nuklearen Rüstungskontrolle. Akteure, Interessen, Perspektiven
Die Krise in der US-russischen Rüstungskontrollarchitektur als globale Herausforderung
Russlands Position als langjähriger Skeptiker des INF-Vertrags ist nun ins Gegenteil verkehrt.
Wird New START nicht verlängert, bricht das letzte Vertragswerk zur Limitierung strategischer Kernwaffen weg.
Triebkräfte der russischen Rüstungskontrollpolitik
Bedrohungswahrnehmungen
Rüstungstechnologische und institutionelle Pfadabhängigkeiten
Nichts unterstreicht einen wahrgenommenen Großmachtstatus auf Augenhöhe mit den USA so klar wie der Besitz von Nuklearwaffen.
Innenpolitische Determinanten
Die Vorführung neuer, »unbesiegbarer« Waffensysteme dient vor allem der Öffentlichkeitsarbeit.
Rüstungs- und ordnungspolitische Konzeptionen
Russische Lösungsansätze und ihre Einordnung
Kehrtwende bei einer Multilateralisierung des INF-Vertrags
Moskau sperrt sich nicht grundsätzlich dagegen, Peking in künftige Rüstungskontrollverträge einzubeziehen.
Moratorium für Mittelstreckenraketen
Fraglich ist, ob russische und amerikanische Militärs das Ende des INF-Vertrags wirklich als nachteilig betrachten.
Verlängerungsoptionen für New START
Russland positioniert sich vorsorglich auf der »richtigen« Seite der Geschichte.
Transparenzmaßnahmen bei neuen strategischen Waffenkategorien
Russland demonstriert Transparenz, indem es das Awangard-System unter New START anrechnen und inspizieren lässt.
Moskau möchte einen Dialog über nichtnukleare strategische Waffensysteme eröffnen.
Schlussfolgerungen und Empfehlungen
Abkürzungen