"Ejn weis man gesprochen hat, / Daz den red missestat, / Diu an witz geschiht". Sicherlich könnten diese Verse jedes Buch einleiten, denn witz sollte ja keinem Forscher fehlen. Doch nicht nur im mittelhochdeutschen Sinn hat Volker Mertens, dessen 65. Geburtstag am 14. September dieses Jahres den Anlaß zu diesem Buch gab, seine witze immer wieder unter Beweis gestellt. Das Geistvolle, der Esprit, der Witz und auch die Komik zeichnen - meist in zulässigem Maße - seine Veröffentlichungen aus und kennzeichnen ihn als erfolgreichen akademischen Lehrer.
Der Autor der mittelhochdeutschen Verse, Heinrich von dem Türlin, hat sie einem Roman vorangestellt, den er durchaus in dem Bewußtsein von der Schwierigkeit seines Unterfangens begonnen hat; allumfassend, und aus den unterschiedlichsten Materialien, edlen wie unedlen, soll der 'abentùre Crone' entstehen. Und so läßt auch Volker Mertens aus den unterschiedlichsten Themenbereichen (und nicht alle galten und gelten als wirklich 'edel') ein Gesamtwerk entstehen (dessen Abschluß noch in weiter Ferne liegt), das um die mittelalterliche Literatur in all ihren Facetten und Spiegelungen kreist, das aber auch ausgreift in die Literatur der Moderne, die Musik und die bildende Kunst. Einer solchen umfassenden Perspektive in einer Festschrift Rechnung zu tragen, konnte gar nicht erst versucht werden. Doch angesichts der Bandbreite der Veröffentlichungen von Volker Mertens erschien auch ein zu eng gestecktes Thema wenig sinnvoll. Mit der Formulierung 'Literarische Leben' ist zunächst die Herkunft der in diesem Band behandelten Lebensentwürfe festgeschrieben - aus der Literatur, allerdings unter der selbstverständlichen Annahme eines weitgefaßten Literaturbegriffs.
Der Kernbegriff des Untertitels, 'Rollenentwürfe', verweist sowohl auf die Pluralität der Leben, die auch von einer einzelnen Person durchlaufen werden können, als auch auf die Exemplarität, die diesen literarischen Entwürfen zukommt. Diese Fokussierung entspricht schließlich einem der immer wieder 'beackerten' Arbeitsfelder von Volker Mertens.
Die (zunehmende) Vielfalt der Rollenentwürfe in der Literatur des Mittelalters eröffnet inner- wie außerfiktional die Möglichkeit der Choreographie des Lebens, da nicht von einer Konstanz der Rollen im Rahmen eines Biographieentwurfs ausgegangen werden kann. Die vielfältigen theoretischen Probleme, die sich an den Themenkomplex knüpfen, wie auch die Rollenpluralität selbst haben dazu beigetragen, einen interessanten, divergenten, kontroversen und dennoch kohärenten Band entstehen zu lassen. Bei der Anordnung der Beiträge hätten sich vielleicht einzelne Gruppierungen bilden lassen, doch haben wir - nicht zuletzt wegen des übergreifenden und systematischen Charakters vieler Beiträge - der alphabetischen Reihenfolge den Vorzug gegeben; die leichte Benutzbarkeit des Gesamtbandes wird durch das Autoren- und Werkregister gewährleistet.
Author(s): Matthias Meyer, Hans-Jochen Schiewer (Hrsg.)
Publisher: Max Niemeyer Verlag
Year: 2002
Language: German, English
Pages: XIV+900
City: Tübingen
Vorwort xi
Tabula gratulatoria xiii
Ingrid Bennewitz / Die Pferde der Enite l
Bart Besamusca / Mütter und Söhne in zwei mittelniederländischen 'Perceval'-Variationen: 'Moriaen' und 'Ridder metter mouwen' 19
Václav Bok / Zum Bild des böhmischen Königs Přemysl Otakars II. in der 'Steirischen Reimchronik' 33
Horst Brunner / 'Hie ist diu aventiure geholt - /wa ist nu der minne solt?' Die Rolle der Frau des Helden in einigen nachklassischen Artusromanen 55
Danielle Buschinger / Die Marke-Figur in den Tristan-Fortsetzungen Ulrichs von Türheim und Heinrichs von Freiberg 67
Thomas Gramer / Wie die Minnesänger zu ihrer Rolle kamen 79
Alfred Ebenbauer / Der Truchseß Keie und der Gott Loki. Zur mythischen Struktur des arthurischen Erzählens 105
Margreth Egidi / Der Immergleiche. Erzählen ohne Sujet: Differenz und Identität in 'Flore und Blanscheflur' 133
John Greenfield / Wolframs zweifache Witwe. Zur Rolle der Herzeloyde-Figur im 'Parzival' 159
Arthur Groos / The Praise-Singer and the Authoring of Praise. Morungen's 'Si ist ze allen êren ein wîp' (MF 122.1) 175
Klaus Grubmüller / 'Wolgetan an leibes kraft'. Zur Fragmentierung des Ritters im Märe 193
Burkhard Hasebrink / Rache als Geste. Medea im 'Trojanerkrieg' Konrads von Würzburg 209
Wolfgang Haubrichs / Authentische Memoria. Zur Rolle des Künstlers in Ottokars 'Österreichischer (Steirischer) Reimchronik' 231
Walter Haug / Die Rollen des Begehrens. Weiblichkeit, Männlichkeit und Mythos im arthurischen Roman 247
Marie-José Heijkant / 'La figura del mondo': Tristan als das Idealbild des Rittertums in der 'Tavola Ritonda' 269
Christoph Huber / Brüchige Figur. Zur literarischen Konstruktion der Partonopier-Gestalt bei Konrad von Würzburg 283
Erika und Dieter Kartschoke / Rollenspiele 309
Ingrid Kasten / Ritual und Emotionalität. Zum Geistlichen Spiel des Mittelalters 335
Beate Kellner / Der Ritter und die nackte Gewalt. Rollenentwürfe in Konrads von Würzburg 'Heinrich von
Kempten' 361
Manfred Kern / Iwein liest 'Laudine'. Literaturerlebnisse und die 'Schule der Rezeption' im höfischen Roman 385
Christian Kiening / Apollonius unter den Tieren 415
Dorothea Klein / Geschlecht und Gewalt. Zur Konstitution von Männlichkeit im 'Erec' Hartmanns von Aue 433
Britta-Juliane Kruse / Eine Witwe als Mäzenin. Briefe und Urkunden zum Aufenthalt der Nürnberger Patrizierin Katharina Lemlin im Birgittenkloster Maria Mai (Maihingen) 465
Freimut Löser / Mein liebster Feind. Zur Rolle des literarischen Gegners in der Sangspruchdichtung am Beispiel Rumelants 507
John Margetts / Persona. Entlarvung des Adels und Entdeckung des Strickers: 'so han ich vrowen vil gesehen' 535
Matthias Meyer / Zwischen Herrschaft und Entführung. Frauenrollen im 'Demantin' Bertholds von Holle 551
Lydia Miklautsch / Das Mädchen Achill. Männliches Crossdressing und weibliche Homosexualität in der mittelalterlichen Literatur 575
Ulrich Müller / Minnesang - eine mittelalterliche Form der Erlebnislyrik. 'Essai' zur Interpretation mittelalterlicher Liebeslyrik 597
Matthias Nix / Der neugierige Richter 619
Werner Röcke / Positivierung des Mythos und Geburt des Gewissens. Lebensformen und Erzählgrammatik in Hartmanns 'Gregorius' 627
Hans-Jochen Schiewer / Acht oder Zwölf. Die Rolle der Meierstochter im 'Armen Heinrich' Hartmanns von Aue 649
Ursula Schulze / Siegfried - ein Heldenleben? Zur Figurenkonstitution im 'Nibelungenlied' 669
Kurt Otto Seidel / Bücherwissen und Erfahrung im Märe. Die Auseinandersetzung mit Lebensformen hinter Mauern 691
Georg Steer / Eckhart der 'meister' 713
Uta Störmer-Caysa / Das Gespräch mit dem Wilden bei Seuse. Votum für eine folgenschwere Konjektur 755
Peter Strohschneider / 'Georius miles - Georius martyr'. Funktionen und Repräsentationen von Heiligkeit bei Reinbot von Durne 781
Benedikt Konrad Vollmann / Autorrollen in der lateinischen Literatur des 13. Jahrhunderts 813
Rudolf Kilian Weigand / Rechtsprobleme in den Erzählungen Hartmanns von Aue. Die Bedeutung des Rechts in der ritterlichen Lebensform 829
Horst Wenzel / Schwert, Saitenspiel und Feder 853
Friedrich Wolfzettel / Der lange Weg zu einem 'anderen' Chrétien. Zur Nachkriegsforschung über den 'Conte du Graal' 871
Register antiker und mittelalterlicher Autoren und Werke 893