In der Auseinandersetzung zwischen Russland und dem Westen spielt völkerrechtliche
Rhetorik eine nicht zu unterschätzende Rolle, vor allem wenn
es um Fragen von Souveränität, Intervention und militärischer Gewaltanwendung
geht. Moskau wirft den USA und anderen westlichen Staaten seit
vielen Jahren vor, eine Politik der Einmischung zu betreiben und in eigennütziger,
missbräuchlicher Weise mit dem Völkerrecht umzugehen. Umgekehrt
sieht sich Moskau von westlicher Seite ebenfalls immer wieder mit
dem Vorwurf konfrontiert, das Völkerrecht zu brechen. Zuletzt geriet Russland
wegen der Annexion der Krim, der Beteiligung am Ukraine-Konflikt
und seiner Rolle in Syrien in die Kritik. Eine tragfähige Strategie für die Beziehungen
zu Russland setzt eine fundierte Kenntnis der völkerrechtlichen
Standpunkte und Argumentationslinien von Moskaus Außen- und Sicherheitspolitik
voraus.
In der vorliegenden Studie werden zum einen die Argumente analysiert,
mit denen Russland westliche Politik angreift. Zum anderen richtet sich der
Fokus auf die Art und Weise, wie das Land seine Interessen im postsowjetischen
Raum völkerrechtlich-argumentativ geltend macht. Im Vordergrund
steht die Frage, inwieweit sich in den Argumentationslinien Moskaus ein
konsistentes Völkerrechtsverständnis spiegelt und wo gegebenenfalls Widersprüche
auftreten. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass der russischen
Politik im postsowjetischen Raum eine Lesart völkerrechtlicher Normen und
Prinzipien zugrunde liegt, die zum Teil erheblich von jener abweicht, mit
der sich westliche Akteure regelmäßig konfrontiert sehen, wenn sie von
Russland kritisiert werden.
Author(s): Christian Schaller
Series: SWP Studie; 2018/10
Publisher: Stiftung Wissenschaft und Politik
Year: 2018
Language: German
Pages: 38
City: Berlin
Tags: Russland, Außenpolitik, Sicherheitspolitik
Inhaltsverzeichnis
Problemstellung und Schlussfolgerungen
Russlands Grundhaltung zu völkerrechtlichen Fragen von Souveränität, Intervention und militärischer Gewaltanwendung
Vorrang staatlicher Souveränität
Die Charta der Vereinten Nationen als primärer Bezugsrahmen
Enge Auslegung der Ausnahmetatbeständezur Gewaltanwendung
Fokussierung auf die Autorität und Beschlüsse des UN-Sicherheitsrats
Skepsis gegenüber dem Völkergewohnheitsrecht
Kritik am Konzept der Responsibility to Protect
Russland, der Westen und das Völkerrecht
Hintergrund: Russlands Interessen und Bedrohungsperzeption
Konkurrenz um Werte, Normen und Prinzipien
Russlands Kritik an westlichen Militärinterventionen
Kosovo
Libyen
Syrien
Zusammenfassung und Einordnung
Russlands militärische Aktivitäten im »Nahen Ausland«
Russisches Peacekeeping und der Schutz russischer Bürger und Landsleute im »Nahen Ausland«
Die Militärintervention in Georgien
Die Besetzung der Krim
Zusammenfassung und Einordnung
Selbstbestimmung und Sezession – Russische Argumentationslinien zwischen Kosovo und Krim
Kosovo als »Präzedenzfall«
Die Anerkennung Abchasiens und Südossetiens
Die Inkorporation der Krim in die Russische Föderation
Zusammenfassung und Einordnung
Russlands zweigleisige Argumentation – Ein instrumentelles Verständnis von Völkerrecht
Russlands zweigleisige Argumentation
Der strategische Gebrauch von Völkerrecht und völkerrechtlicher Rhetorik
Mögliche Konsequenzen für die Weiterentwicklung des Völkerrechts
Russland und die globale Völkerrechtsordnung
Völkerrecht im postsowjetischen Raum