Der Begriff „Faschismus“ scheint zu einem Allerweltsbegriff geworden zu sein: Ausgehend von Mussolinis „Faschisten“, übernommen von den Nationalsozialisten unter Hitler, findet er sich heute in nahezu allen politischen Auseinandersetzungen: Trump, Putin, Orbán, Bolsonaro, in Deutschland Höcke, die AfD. Während einige argumentierten, dem Wort „Faschismus“ fehle es an jeglicher charakteristischen, begrifflichen Bedeutung, liefern andere ausführliche Definitionen seiner –vermeintlich oder tatsächlich – wesentlichen Merkmale. Es handelt sich zweifelsohne um einen Begriff, dessen genaue Bestimmung eine einzigartige Herausforderung darstellt. Roger Griffin, einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Faschismusforschung, analysiert mit einzigartiger begrifflicher Klarheit und zugleich sehr lesbar die Ideologie des Faschismus. Er untersucht Ursprung und Entwicklung des Faschismus als politisches Konzept von seinen historischen Anfängen im Italien der 1920er-Jahre bis hin zur Gegenwart – und leitet uns durch das verworrene Labyrinth an Debatten über Natur, Bedeutung und Definitionen des Faschismus. Mit Kompetenz und Präzision beleuchtet Griffin die faschistische Dynamik als utopische Ideologie von nationaler und zugleich ‚rassischer‘ Wiedergeburt. Dabei untersucht er insbesondere auch die Wandelbarkeit des Faschismus über den Zweiten Weltkrieg hinaus und ermöglicht so ein Verständnis faschistischer Elemente in gegenwärtigen politischen Phänomenen wie der griechischen Goldenen Morgenröte, Marine Le Pens Rassemblement National oder der Partei Alternative für Deutschland. Nicht nur für Studierende der politischen Theorie, der Ideengeschichte und der Neuesten Geschichte Deutschlands, Europas und der Welt ist dieser kompakte und fesselnde Band von großem Interesse, sondern auch für alle, die angesichts des vieldiskutierten Ansteigens faschistischer politischer Aktivitäten in Sorge sind. Roger Griffins Einsichten in die Faschismusforschung werden dabei erstmalig in deutscher Sprache zugänglich gemacht. In einem hochaktuellen Nachwort widmet sich Fabian Virchow, Professor für Politikwissenschaften und Experte für Rechtsextremismus und Neonazismus, der Frage, inwieweit sich der Faschismusbegriff auch auf die gegenwärtige Partei Alternative für Deutschland anwenden lässt.
Der Autor:
Dr. Dr. h.c. Roger D. Griffin ist emeritierter Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Oxford Brookes University, England. Er ist Mitgründer der International Association for Comparative Fascist Studies sowie der Zeitschrift Fascism (Brill 2012-heute), Autor u.a. von The Nature of Fascism (Pinter 1991, Routledge 1993) und Modernism and Fascism (Palgrave Macmillan 2007) sowie Herausgeber u.a. von Fascism (Oxford UP 1995), International Fascism (Arnold 1998), Critical Concepts of Political Science: Fascism, 5 Bde. (Routledge 2004) und Fascism Past and Present, West and East (ibidem-Verlag 2006).
Übersetzung und Einleitung:
Martin Kristoffer Hamre, M.A., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter mit Schwerpunkt Faschismusforschung an der Graduiertenschule Global Intellectual History an der Freien Universität Berlin
Author(s): Roger Griffin
Publisher: ibidem
Year: 2020
Language: German
Tags: Faschismus, Forschung, Extremismus, Autoritarismus, Rechts, Links, Totalitarismus, Rechtsradikalismus, Radikalismus, Rassismus, Faschismusforschung, Marxismus, Krieg, Konflik, Sozialismus
Die besondere Rolle der Faschismusforschung in Deutschland – eine Einleitung des Übersetzers
Begriffliche Herausforderungen durch die englischsprachig geprägte Faschismusforschung
Die Entwicklung der Faschismusforschung in Deutschland
Der gegenwärtige Nutzen von Roger Griffins Ansatz für die deutschsprachige Forschung
Geleitwort von Andreas Kemper
Danksagungen
1 Einführung: Warum der Faschismus ein „Schlüsselbegriff“ ist
Was ist also Faschismus?
Warum der Faschismus nicht das Gleiche wie eine Ente ist
Die in diesem Band verwendete narrative Geschichte des „Faschismus“
Weitere Gründe, ein Buch dem Faschismus als Schlüsselbegriff der politischen Theorie zu widmen
Die Struktur dieses Buches
2 Den Faschismus begreifen: Marxistische und frühe liberale Ansätze
Die Suche nach einer Definition
Die marxistische Schule: Faschismus als Avantgarde der kapitalistischen Reaktion
Die Agententheorie
Die bonapartistische These
Spätere Entwicklungen in der marxistischen Theorie
Die politische Sirene
Die Verwirrung der liberalen Historikerinnen und Historiker
Ein Ausweg aus dem Labyrinth
3 Eine Arbeitsdefinition: Faschismus als revolutionäre Form des Nationalismus
Ein dritter Weg, Faschismus zu verstehen
Palingenetischer Ultranationalismus
Eine Ein-Satz-Definition des Faschismus
Wie methodische Empathie den faschistischen Mythos der ultranationalistischen Erneuerung hervorhebt
Die Verbreitung des neuen Paradigmas
In Richtung einer neuen Welle der Zusammenarbeit in der Faschismusforschung
Die Etablierung des neuen Paradigmas
Einige Ratschläge zur Anwendung des empathischen Paradigmas
4 Der Faschismus der Zwischenkriegszeit: Varianten des revolutionären Nationalismus
Die wandelbare Beschaffenheit der faschistischen Ideologie
Die Ultra-Nation des italienischen Faschismus
Die Ultra-Nation des Nationalsozialismus
Die Vielfalt der Gründungsmythen des Faschismus
Die Vielfalt der faschistischen Genderpolitik
Die Vielfalt der faschistischen Moderne
Die Vielfalt der faschistischen Wirtschaftspolitik
Die Vielfalt des Scheiterns des Faschismus
5 Neofaschismus: Entwicklung, Anpassung, Verwandlung
Der für den Faschismus reduzierte politische Handlungsraum in der Nachkriegszeit
Die Kontroverse um den „Neofaschismus“
Das Scheitern des Neofaschismus als populistische revolutionäre Kraft
Das Scheitern der faschistischen Nachkriegsparteien
Die Ausnahmeerscheinungen in der Ukraine, in Ungarn, in Griechenland und in der Slowakei
Das kultische Milieu des Neofaschismus der Splittergruppen
Die Internationalisierung des Faschismus in der Nachkriegszeit
Cyberfaschismus, Metapolitisierung, Geschichtsrevisionismus
Terroristischer Neofaschismus
Neofaschisten: nicht im Einklang mit der Gegenwart, aber immer noch entschlossen, Geschichte „zu schreiben“
6 Fazit: Faschismus, Post-Faschismus und nach Faschismus
Vier Leitsätze für die produktive Anwendung des Begriffs „Faschismus“
Den Fisch fangen, ohne sich im Netz zu verheddern
Nach Faschismus: Was man aus der vergleichenden Faschismusforschung mitnehmen kann
Was zur nächsten Phase der Faschismusforschung beigetragen werden kann
Ein neuer Faschismus?
Ist die AfD faschistisch? Nachwort von Fabian Virchow
Literaturhinweise und Bibliographie
Index