Amazon ist eines der umsatzstärksten Unternehmen weltweit. Seit seiner Gründung in den USA 1994 reorganisierte das Unternehmen die Verkaufsarbeit technisch und organisatorisch, vorrangig als digital taylorisierte Einfacharbeit in Verkaufsfabriken.
Diese Reorganisation hat erhebliche Ähnlichkeiten mit der Veränderung traditioneller Fabrikarbeit in der Mitte der 1950er Jahre. Sie führt zu einer Dequalifizierung der Verkaufsarbeit und einer Prekarisierung der befristeten und saisonalen Beschäftigten. Parallel dazu gestaltet Amazon das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeiter*innen in Richtung Niedriglöhne, wenige Möglichkeiten zur Mitbestimmung über die Arbeitsprozesse und Ablehnung von Verhandlungen mit Gewerkschaften.
Beides führt zu Widerständen in der Amazon-Belegschaft, wie sich deutlich in mittlerweile internationalen Streiks zeigt. Gleichzeitig passt sich eine Mehrheit der Belegschaft den Arbeitsbedingungen an.
Im Mittelpunkt des Buches steht die Auswertung empirischer Studien über das Bewusstsein von Amazon-Arbeiter*innen in den Distributionszentren. Es werden zentrale Streikmotive präsentiert, deren Vergleichbarkeit im europäischen Kontext untersucht und die besondere Situation von migrantischen Saisonarbeiter*innen diskutiert. Zum Schluss wird der Begriff des Klassenbewusstseins kritisch erweitert und der Zusammenhang zwischen einem übergeordneten solidarischen Streben der Beschäftigten und einem gewerkschaftsaffinen Denken und Handeln ausgelotet.
Damit gibt die Autorin Antworten auf arbeitssoziologische wie gewerkschaftliche Fragestellungen angesichts des fundamentalen technologischen Wandels der Verkaufsarbeit, der aktuell stattfindet.
Author(s): Sabrina Apicella
Edition: 1. Auflage
Publisher: VSA: Verlag
Year: 2021
Language: German
Pages: 235
City: Hamburg
Tags: Amazon.com (Firm), Working conditions, Labor unions, Working class, Strikes
Arbeiten bei Amazon: Sich anpassen oder streiken? 9
Die Bedingung zum Streik: interne Seite des Arbeiteninnenbewusstseins 11
Der Wandel der Verkaufsarbeit 11
Die Reelle Subsumtion der Verkaufsarbeit 12
Reelle Subsumtion bedeutet Entfremdung 14
Das Prinzip Amazon 16
Die Bedingung zum Streik: externe Seite des Arbeiteninnenbewusstseins 17
Das erweiterte Klassenbewusstsein 18
Saisonarbeit – der Atem der Fabrik 18
Fragestellung und Aufbau des Buchs 19
INTERNE SEITE DER ARBEIT
1 Ökonomische und strukturelle Veränderung der Verkaufsarbeit im stationären Einzelhandel und Onlineversandhandel 24
Verkaufsarbeit als komplexe Tätigkeit zur Realisierung des Kapitalkreislaufs 24
Von Bricks und Klicks: Eine kurze Geschichte des Handels 26
Bedingungen für den Branchenwandel: Transport, Digitalisierung und neuer Kund:innenkontakt 32
Produktivkraftsprung im Transport 32
Produktivkraftsprung durch Digitalisierung 34
Die Abtrennung des interaktiv-kommunikativen Verkaufsanteils 36
Abschließende Bemerkung zu den Bedingungen für den Branchenwandel 37
Ladenformate und Arbeitsprozesse im Einzel- und Versandhandel 38
Der stationäre Einzelhandel: Vom Warenhaus zum Discounter 38
Der Discounter 41
Der Versandhandel 43
Der Onlineversandhandel 45
Amazon: Onlinewarenhaus und Verkaufsfabrik 48
Aufgespaltener Verkaufsprozess auf Grundlage digitaler Technologien 49
Das besondere Kauf- und Konsumangebot: Aufgespaltene Verkaufsarbeit 51
Distributionszentrum und Transportarbeit als Neuvermessung des Verkaufsraums 52
Die organisatorisch-technische Seite der Arbeit in Amazons Verkaufsfabriken 53
Beschreibung des Distributionszentrums als Verkaufsfabrik 53
Einfache Arbeit und digitaler Taylorismus 55
Die politische Seite der Arbeit und innerbetriebliche Organisation bei Amazon 60
Zusammensetzung der Amazon-Arbeiterinnen: Diversifizierung und Dequalifizierung 61
Amazon-Management: Unternehmenskultur und Führungsstil 64
Mitbestimmungsstrukturen und Gewerkschaftsarbeit bei Amazon 67
Lohnpolitik bei Amazon 71
2 Konflikte und Arbeiteninnenbewusstsein – Streikmotive bei Amazon in Deutschland 75
Individuelle Streikmotive: theoretische Grundlagen und Hypothesen 76
Streikbereitschaft in Leipzig und Rheinberg 79
Der Fragebogen, die Umfrage und die Statistik 80
Die zwei Distributionszentren 80
Arbeitszufriedenheit und beruflicher Hintergrund 82
Interne und externe Gründe zu streiken: Vertrauen in die Gewerkschaft, Vertragsstatus, Stress und soziale Hierarchien 84
Kein Zusammenhang mit dem Streikverhalten 89
3 Sonderfall Deutschland? Streikmotive bei Amazon in Rheinberg und Castel San Giovanni 92
Politische Löhne und Lohnstruktur in Europa 94
Amazon in Europa 96
Räumlich-geografische Logik 96
Am Absatz- und Arbeitsmarkt orientierte Logik 96
An arbeitsrechtlichen Bedingungen orientierte Logik 98
Lohnstruktur in den deutschen und italienischen Distributionszentren: an regionalen Gegebenheiten orientiert 100
Amazon Streiks in Deutschland und Italien 102
Mobilisierende Faktoren und Streikmotive an den Standorten Rheinberg und Castel San Giovanni 103
Die Standorte Rheinberg und Castel San Giovanni 103
Die Interviews 104
Mobilisierende Faktoren in Rheinberg 106
Arbeitszufriedenheit 107
Vertrauen in die Gewerkschaft 110
Finanzielle Sicherheit und Löhne 113
Streikmotive in Castel San Giovanni 115
Arbeitszufriedenheit 116
Vertrauen in die Gewerkschaft 118
Finanzielle Sicherheit und Löhne 120
»Rough terrains« für europäische Amazon-Streiks: Streikmotive im Vergleich 122
Unterschiede 122
Gemeinsamkeiten 123
Die Grenzen der Teilstudie 124
Ausblick 125
4 Von atmenden Fabriken – Saisonarbeiterinnen bei Amazon 127
Saisonarbeit in Deutschland 129
Bedeutung der Saisonarbeit bei Amazon 132
Saisonarbeiterinnen und Streikmotive in Winsen 135
Teilnehmende Beobachtung, Umfrage undInterviews 135
Der Standort Winsen 136
Vielfältige Lebensrealitäten von Saisonarbeiterinnen bei Amazon 137
Wer sind die Saisonarbeiterinnen? 137
Vorstellung der Interviewpartnerinnen und ihre Motive, saisonal bei Amazon zu arbeiten 138
»It is the job available« 140
Arbeitszufriedenheit, Verhältnis zur Gewerkschaft und weitere Konfliktquellen 142
Unboxing Saisonarbeit bei Amazon 148
EXTERNE SEITE DER ARBEIT
5 Von überschüssigen Streikmotiven zu einem erweiterten Begriff des antagonistischen Klassenbewusstseins 156
Moralische Ökonomie, neue Sensibilität und Klassenbewusstsein 159
Kehrseiten des Klassenbewusstseins 164
6 Gewerkschaftspolitik und vorpolitische Überzeugungsmuster bei Amazon-Arbeiter:innen: Zur empirischen Untersuchung des Klassenbewusstseins 167
Vom Streikverhalten zur Affinität zu gewerkschaftlichem Denken und Handeln 168
Hypothese drei idealtypischer Denk- und Verhaltensmuster 169
Klassenbewusstsein bei Amazonarbeiteninnen in Rheinberg 170
Methodisches Vorgehen 170
Nicht drei, sondern fünf Denk- und Verhaltensmuster 171
Affinität zu Politik 173
Affinität zur Gewerkschaft und zu Streiks 173
Kehrseiten des Klassenbewusstseins 175
Mitbestimmung als Verbindung zwischen den Mustern 176
Die Distanz des egalitär-kollektiven Musters zur Gewerkschaft 176
Schluss 179
Der Wandel der Verkaufsarbeit und Streiks oder: Das Pendel steht auf Unruhe 179
Zentrale Streikmotive 180
Stellschrauben für Gewerkschaften 181
Die Notwendigkeit einer lebensweltlichen Öffnung der Gewerkschaften 183
Möglichkeiten und Grenzen von Forschung bei Amazon 184
Datengrundlage und forschungspraktische Grenzen 185
Reflexion 187
Was wird aus den Streiks bei Amazon? 188
Anhang
Danksagung 197
Abkürzungen 199
Ergänzende Daten 200
Literatur und Quellen 206
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 236