Mit Beiträgen von Helga Jacob, Herben Ullrich und Hans Eberhardt. Überarbeitet und ergänzt von Sigrid Dušek und Barbara Lettmann.
Bereits um die Mitte des vorigen Jahrhunderts wurden in Thüringen von Torfstechern bei (Weimar-)Possendorf und von Steinbrucharbeiten bei Greußen (Kyffhäuserkreis) zwei germanische Opferplätze entdeckt. Da an beiden Orten bei der Bergung der Kultobjekte kein Fachmann zugegen war und einige nur kurz beschriebene Gegenstände später verloren gingen, können manche wichtigen Fundumstände nicht geklärt werden. 1951 wurde in Nordwestthüringen abermals beim Torfstechen eine germanische Kultstätte angeschnitten, und zwar auf der Flur von Oberdorla bei Mühlhausen. Glückliche Umstände erlaubten es, bis zum Jahre 1967 in einer systematischen Großgrabung zum ersten Male auf dem Kontinent Heiligtümer, die von der Hallstatt- und Latènezeit bis über die Römische Kaiserzeit hinaus von Bauern zur Ausübung kultischer Handlungen aufgesucht wurden, nahezu vollständig zu erforschen. Die Ausgrabungen legten zahlreiche Opferstätten im Moor, am Ufer eines Kultsees und in einem Quellbezirk frei. Diese Anlagen, die dort verehrten Idole, die niedergelegten Gegenstände sowie die Tier- und Menschenopfer gestatten einen guten Einblick in den Fruchtbarkeits- und Agrarkult, der in einem Stammesgebiet der Germania libera gepflegt wurde.
Die vorliegende Arbeit beschreibt die repräsentativen Opferstätten aus verschiedenen Kulturperioden; gleichzeitig wird zum ersten Male über die archäologischen Arbeitsergebnisse zusammenfassend berichtet. Vergleiche mit anderen germanischen Opferfunden aus dem europäischen Raum, eine Auswertung antiker und frühgeschichtlicher Überlieferungen, ethnographische und volkskundliche Parallelen religionsgeschichtlicher Art unterstreichen und erweitern die Aussagekraft der Grabungsfunde, die durch die thüringischen Kultobjekte von Possendorf und Greußen ergänzt wurden. Das Buch führt den Leser in die tieferen Schichten der germanischen Volksreligion, die in den antiken und späten altnordischen Quellen nur einen geringen Niederschlag gefunden hat; es wendet sich nicht nur an die Prähistoriker, Archäologen und Religionswissenschaftler, sondern auch an die Ethnologen, Soziologen, Philologen, Kunsthistoriker und Folkloristen.
Author(s): Günter Behm-Blancke
Series: Weimarer Monographien zur Ur- und Frühgeschichte, 38, 1
Publisher: Konrad Theiss Verlag
Year: 2003
Language: German
Pages: 332
City: Stuttgart
Vorwort der Herausgeberin 7
Anmerkungen zur Bearbeitung 9
Vorwort des Autors 15
Einleitung 17
Einführung: Komponenten der Opferstätten 20
1. Die Kult- und Opferstätte von Oberdorla 22
A. Entdeckungs- und Untersuchungsgeschichte 22
B. Der heilige Ort (Kultmoor, Kultsee, Kultquellen, Hain) und die dazugehörigen Siedlungen 23
C. Die geologischen Verhältnisse im "Rieth" und in der Umgebung 27
D. Vegetationsgeschichtliche Untersuchungen am Opfermoor Oberdorla / Helga Jacob 30
E Die Opferperioden von Oberdorla im Spiegel der ur- und frühgeschichtlichen Kulturen in Thüringen 36
Die Sakralanlagen 37
Die Sakralanlagen nach chronologischen Befunden 37
1. Opferperiode I. Die späthallstatt- und frühlatènezeitlichen Kultstätten 37
2. Opferperiode II. Die mittel- und spätlatènezeitlichen Kultstätten 43
3. Opferperiode III. Kultstätten der spätesten Latène- und frühen Römischen Kaiserzeit (Großromstedter Horizont) 51
4. Opferperiode IV. Heiligtümer der ausgehenden frühen und mittleren Römischen Kaiserzeit am Kultsee 58
5. Opferperiode V. Späte Römische Kaiserzeit 63
Opferperiode VI und VII. Frühe (V I) und späte (V II) Völkerwanderungszeit 69
B. Die Opferquellen und ihre Umgebung 71
1. Holzanlagen, Feuerstellen 71
2. Das Schiffssignum beim Quellbezirk 75
III. Stätten der älteren Kultforschung in Thüringen 77
A. Der germanische heilige Brunnen bei Greußen (Kyffhäuserkreis) 77
B. Das germanische Eichenheiligtum von (Weimar-)Possendorf 83
IV. Archäologische und literarische Zeugnisse der germanischen Kultriten (Oberdorla und Parallelen) 85
A. Die Feste der Kultgemeinschaften 85
B. Die Idoltypen bedeutender Kultplätze Mittel- und Nordeuropas 89
C. Das Tieropfer (Oberdorla und Parallelen) 98
1. Tötung und Zerlegung der Opfertiere 98
2. Das "Tierknochenopfer" - Herkunft und Bedeutung 103
D. Das Heilige Mahl 106
E. Requisiten der Kultausübung archäologische Befunde von Oberdorla 111
1. Stäbe, Keulen und kleine Hämmer 111
2. Das Blasinstrument im hermundurischen Hauptheiligtum der späten Latène- und frühen Römischen Kaiserzeit 120
F. Menschliche Skelettreste aus der germanischen Kultstätte von Oberdorla / Herbert Ullrich 128
V. Religionsgeschichtliche Vergleichsstudien zwecks Rekonstruktion des germanischen Naturheiligtums 154
A. Der Pfahl im archaischen Kultwesen der Völker 154
B. Archaische Glaubensvorstellungen im eurasischen Kultwesen 156
C. Der heilige Baum bei den Germanen, Kelten und antiken Völkern 159
D. Sakrale Quellen und Brunnen in Alteuropa 167
1. Die germanische Überlieferung über den Quell- und Wasserkult 168
2. Der Quellkult bei den Römern, Griechen und Kelten 170
3. Quellen im Volksglauben 170
VI. Die Kultbauten. Idolhütte, Tempel, Altar und Festhalle 176
VII. Die Gottheiten der Latène-, Römischen Kaiser- und Völkerwanderungszeit auf dem Kultplatz von Oberdorla 183
A. Zölare männliche Gottheiten 186
1. Langer Kultpfahl 186
2. Mittellange Kultstange 188
3. Gespaltener Kultpfahl 188
4. Gabelpfahl 190
5. Eiche, Wolf, Widder 191
6. Hammer- und Keulenattribut (mit Exkurs: Sippenkeule) 199
B. Kriegsgottheiten 204
C. Die Göttinnen (tellurischer und zölarer Bereich) 207
1. Weben und Spinnen 207
2. Schildkrötenopfer 209
3. Göttin der Jagd ("Diana") 210
D. Schiffsheiligtümer und ihre Gottheiten 214
1. Die Heiligtümer der Völkerwanderungszeit 214
2. Die Heiligtümer der Römischen Kaiserzeit und Latènezeit 223
3. Du Heiligtum mit Miniaturboot 225
4. Das göttliche Schiff bei den alten Kulturvölkern 228
5. Das urgeschichtliche Kult- und Totenschiff in Skandinavien 229
VIII. Zur frühgeschichte des Archidiakonats von Oberdorla / Hans Eberhardt 233
IX. Relikte des heidnischen Kultes im Volksglauben und Brauchtum Thüringens 237
A. Frühlings- und Pfingstbräuche in Westthüringen und anderen Landschaften 237
B. Germanische "Diana" - "Venus" - "Frau Holle" (Vergleichsstudie) 244
X. Bedeutende Sagenorte und sakrale Orts- und Flurnamen in Thüringen als Zeugnisse heidnischer Kultausübungen 252
Anhang:
Zu Kap. VII: Fruchtbarkeitskult 256
Zu Kap. IX A: Feststange - Maibaum - Maistange 259
Zu Kap. IX B: Stopfelskuppe, Clythenberg und andere Berge bzw. Borne 263
Ergebnisse und Ausblick 267
Literaturverzeichnis 273
Fototafeln 281